Bussi-Brauch

Schon als kleines Mädchen mochte ich es nicht, das «schöne», rechte Händchen zu geben, wenn ich mit meinen Eltern Leute auf der Strasse traf und sie begrüssen musste. Noch schlimmer empfand ich es, wenn Grossmutter und Verwandte mir dicke, feuchte Schmatzer auf die Wange drückten. Tapfer aber mit Schnappatmung überstand ich die aufgezwungene «Zeremonie», suchte aber, wann immer möglich, Deckung an Mutters Rockzipfel, wo ich verstohlen die klebrige Nässe mit meinem Kleidchen wegwischte.

Die heutige, oberflächliche Küsschen-Kultur hat sich bei uns etabliert, wobei die Schweiz noch einen draufsetzt, indem man drei dieser Schmatzer abgibt oder empfängt. Gerne drücke ich ab und zu einen Menschen, den ich mag, kurz an mich. Man hat sich vielleicht länger nicht mehr gesehen, ein Mensch bedeutet speziell viel oder man spendet jemandem Trost und nimmt ihn in den Arm. Folgende Szenarien kennen Sie sicher auch: Bei Anlässen wie Feiertagen, Geburtstagen oder anderen Begebenheiten, finden sich zig Leute ein. Verwandt oder bekannt, egal, nehmen wir mal an, es handelt sich um zwanzig Personen, das bedeutet je dreimal Küsschen. Eben! Bis alle durchgeknutscht sind, kann man schon bald wieder den Heimweg unter die Füsse nehmen. Ich verspüre da eher Gruppenzwang als Herzlichkeit. Zudem ist es eine Tatsache, dass es Menschen gibt, die man einfach nicht küssen möchte, aber muss, weil man ja niemanden brüskieren sollte. Ein herzliches «hallo zämme, freut mi, dass mir uns sehn» unter der Tür wäre mir um ein Vielfaches lieber.

Wie oft habe ich schon beobachtet, dass bei der obligaten Küsserei auf beide Wangen, der Blick der küssenden Person irgendwo in die Ferne schweift, um bereits Ausschau nach jemand anderem zu halten. Oberflächlicher geht’s wohl kaum. Oder die Person, die ihre Wange zu den besagten Schmatzern bereithält, ist der Meinung, dass dies nur zweimal geschieht, der Küssende sich aber der Gewohnheit des
3-Küsschen-Rituals bedient, ergibt jedes Mal eine einfältige, alberne Situation von kollidierenden Gesichtern. Man entschuldigt sich und kommt sich einfach saublöd vor.

Momentan ist die Situation so schön entspannt. Man muss nicht, nein, noch besser, man darf nicht! Eine Wohltat, einfach grüssen und gut ist. Ich hätte auch nichts dagegen, sich in Zukunft einfach mit herzlichem «Grüezi» und Kopfnicken, sowie einem lieben «guete Obe/Tag mitenand» bei Einladungen zu begrüssen. Das käme, meine Person betreffend, einer wahren Befreiung gleich.

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