Diskretion wünschenswert

An jenem Dienstag hatte ich es eilig und schritt etwas forscher als gewohnt in meine Hausbank, um Geld abzuheben. Vor dem Schalter hatte sich eine kleine Schlange Wartender gebildet und ich stellte mich – natürlich – hinten an. Nach einiger Zeit war noch eine Person vor mir und ich schloss etwas näher auf. „Dame“, (wie ich diesen Ausdruck hasse, ein verbrauchter, altmodischer Titel für Frauen. „Entschuldigung“ als Wortwahl mit Blickkontakt auf meine Person, das wäre mir angenehmer!). „Dame, sie haben die Diskretlinie überschritten!“ vorwurfsvoll blickte mich die Angestellte hinter dem Schalter an. In der Tat! Um gute zehn Zentimeter ragten meine Füsse über die Markierung. Beschämt trat ich den Minirückzug an.

Einige Tage später. Ich betrete eine Apotheke um zwei Rezepte einzulösen. Hier bilden die Kunden keine Warteschlange, man steht eher gleichmässig verteilt vor dem Tresen. Neben mir verlangt eine junge Frau ein Präparat, von dem ich noch nie gehört habe. Die Assistentin begibt sich zu einem der Schränke und steht Sekunden später mit einer länglichen Verpackung wieder vor der Kundin. „Wir haben aber auch andere Schwangerschaftstests“ beeilt sich die Assistentin zu erklären. Aha, die Nachbarkundin ist wahrscheinlich schwanger. Dann drängelt plötzlich ein jüngerer Typ nach vorne und verlangt Methadon. Eine andere Assistentin bringt ihm daraufhin einen winzigen Plastikbecher, den der Typ in einem Zug leert. So, so der arme Kerl hat es mit Drogen. Ich bin noch immer nicht an der Reihe. Ein Mann in meinem Alter erklärt des Langen und Breiten, dass er an einem Zehennagel ein Problem hätte. „Das hört sich ganz nach Nagelpilz an“, sinniert die Fachfrau. Ich bin heilfroh, dass der Kunde nicht noch seine Socke auszieht, um der Angestellten eine sichere Diagnose zu entlocken.

Ich bekomme von jeder Besucherin oder Besucher der Apotheke mit, was ihm oder ihr fehlt. Basel ist nun ja auch nicht eine Weltmetropole, in der man völlig anonym ist, weil keiner den anderen kennt. Selbst wenn man sich nicht kennt: Ich finde es sehr peinlich, dass ich diese Szenen mitbekomme! Von mir hat man auch mitbekommen, welche Frauenärztin ich aufsuche, welche Medikamente ich mitnehme, wie ich diese einnehmen soll usw. usw.

Da kommt mir die Szene in der Bank wieder hoch. Es ist völlig richtig, dass es diese Diskretionslinien gibt. Was gehen mich die Geldabwicklungen anderer Leute an? Aber übertrage ich das gedanklich in die Apotheken, finde ich, dass es dort genauso diskret zugehen sollte wie auf einer Bank. Was geht mich die „Vielleicht-Schwangerschaft“ einer Frau, der Nagelpilz eines Mannes, das Drogenproblem des genannten Menschen an? Hier geht es nicht darum, dass Grossverteiler anhand von Treuekarten erfahren, was ich einkaufe, nein, es geht um die persönlichsten und intimen Angelegenheiten einzelner Menschen. Diese gehören geschützt und es wäre wünschenswert, dass sich die Apotheken Gedanken machen würden, wie man solche peinlichen Szenen vermeiden kann! Ich schlage vor, dass wenigstens solche Diskretlinien angebracht werden. Dass die Abwicklung der Verkäufe nicht im Flüsterton abgehalten werden können, leuchtet auch mir ein und dass nicht jede Fachkraft über die nötige Zurückhaltung in Sachen Tollpatschigkeit verfügt und laut vom Schwangerschaftstest über den Tresen berichtet, ist nun mal menschlich. Ich habe aber wirklich festgestellt, dass es nicht nur mir so ergeht. Auch andere Kunden fühlen sich peinlich berührt, wenn sie ihre Leiden ausbreiten müssen und die Umstehenden bis hin zum Namen des Betroffenen alles haarklein mitbekommen.

Bravo den Banken und Appell an die Apotheken!

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