Immer öfter habe ich den Eindruck, dass Menschen ü50, ü60, sich doch bitte langsam «ins Stöckli» zurückziehen mögen, warme Socken anziehen und an der Teetasse nippen sollen. Die haben ja alles gehabt, die Alten, ihr Leben gelebt, was Vergnügen usw. anbetrifft. Sie sind der Meinung, ich übertreibe?
Ich bin anderer Ansicht. Es beginnt schon mit den dauernden Schlagzeilen wie «Grosi dürfen sich wieder um ihre Enkel kümmern» (nein, ich habe keine Grosskinder), Grosi darf dies und Grosi darf jenes. Schon der Ausdruck «Grosi» finde ich weder «härzig» noch «süss», vielmehr eine Verniedlichung, die nicht viel Respekt in sich birgt. «Grosi» hat vielleicht nicht immer Bock, sich regelmässig um die Enkel zu kümmern sondern um ihre eigenen, durchaus noch vitalen Interessen! Selbstverständlich habe ich nichts gegen Kinder, nichts gegen Grosseltern, die das Enkelhüten als ihre Restlebensaufgabe sehen. Mir geht es «auf den Zeiger», dass sehr oft ohne Nachdenken und jeglicher Empathie fehlend, Sätze wie «was, in deinem Alter?» usw. an die Köpfe deren geschmettert werden, die doch tatsächlich noch «leben» möchten. Am besten wäre wohl, arbeiten bis 65- sofern man nicht vorher aussortiert wird- und dann möglichst bald ins Jenseits abtreten, somit wären die Probleme mit der AHV in absehbarer Zeit auch gelöst.
Ich persönlich probiere gerne neue Dinge aus, bin gerne unterwegs, dies natürlich meinem Alter entsprechend, aber wenn ich mir als Beispiel ein Motorrad kaufen möchte, dann tu ich das auch, nicht unbedingt mit dem Totenkopf auf der Lederjacke, das muss echt nicht sein, aber um den Wind der Freiheit um meine Nase wehen zu lassen und mich des «(noch)-Lebens» zu freuen. «Wie kommst du auf diese abwegige Idee in deinem Alter?» so grellte einer der Aufschreie auf meine hemmungslose Idee. Nun, ich habe schlichtweg keine Lust, mir «Tatort»- Folgen mit miserablem Inhalt reinzuziehen oder mich von klassischer Musik berieseln zu lassen. Ich habe keine Lust, plötzlich Koch- und Backbücher zu wälzen und mit denen am heimischen Herd mein Ende zu finden. Und nein, ich stecke nicht in einer midlife crisis, die wäre ja, rein rechnerisch gesehen, schon vorbei.
Ein weiteres Beispiel: COVID 19. Wir «ach» so Alten leiden auch unter der Pandemie! Ich verstehe, dass junge Menschen feiern wollen, neue Leute kennenlernen, schwierige Umstände betreffend Schule, Studium und Ausbildung haben, dass Depressionen eine Folge sein können. Es ist aber nicht ok, dass dauernd nur die Jungen, die nicht feiern und ihre Kollegen nicht treffen können, erwähnt werden. Auch unsere Jahrgänge möchten sich mit Menschen treffen, austauschen, kein Homeoffice mehr bewältigen müssen, reisen usw. Selbst in unseren Jahrgängen gibt es Singles, die gern wieder ein Date hätten (ja, stellt euch vor, das gibt es!). Und, oh Schreck, wie kann ich auch aber: Ja, ich möchte auch wieder in den «Ausgang» mit meiner Freundin und lachen, mich gut fühlen.
Wir ü50, ü60 blättern (noch) keine Kataloge mit den neuesten Rollatormodellen und Bettsocken durch. Wir studieren nicht tagtäglich bloss an dem hundertprozentigem Wohlergehen der Jungen nach, selbst wenn wir ihnen wirklich das Beste wünschen und gönnen.
Ich respektiere selbstverständlich jede Lebensart, die sich ein Mensch aussucht. Ich finde es aber unerträglich, dass man ab gewissen Jahrgängen als scheintot gilt. Dieses «Grosi» Gequatsche, dieses dauernde Erwähnen, dass die Jungen so leiden müssen während (EINEM) Jahr Pandemie, das regt mich auf. Ein Jahr sich mal zurücknehmen in Sachen Feiern halten auch junge Menschen aus, ihr Lebensweg wird deswegen nicht zerrüttet sein.
Kurzum: Auch wir ü50 und ü60 (und mehr) wollen nicht bloss überleben sondern auch erleben!
Bleiben Sie gesund!..