Mürbe

Das Sprichwort «Jeder ist sich selbst der nächste», bewahrheitet sich täglich, in jeder Lebenslage. Während der ersten Welle von COVID 19 rückten die Menschen enger zusammen. Da war etwas neues, bedrohliches, das plötzlich unseren Alltag abrupt unterbrach, dies schuf eine Verbindung in der Gesellschaft, die Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Verzicht auslöste. Es war erstaunlich, wie der grosse Zusammenhalt über lange Zeit anhielt.

Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Die Tatsache, dass wir in der zweiten Welle stecken, ist wahr geworden. Die Läden blieben bis zum 1. März 2021 während rund fünf Wochen geschlossen, die Restaurants schon länger. Täglich werden wir mit Zahlen von Neuinfektionen, Todesfällen, Erzählungen von Betroffenen, die COVID 19 zwar überstanden haben aber nach wie vor unter diversen Folgen leiden, konfrontiert. Ein Gang durch die Stadt zeigt schmerzlich, dass einige Geschäfte bereits für immer geschlossen bleiben. Dahinter stecken Einzelschicksale von Menschen, die sich über Jahre durch harte Arbeit eine Existenz aufgebaut haben und jetzt vor einem Scherbenhaufen sitzen. Lässt der Bundesrat zu, dass eine Sparte wieder öffnen darf, fühlt sich – logischerweise – eine andere benachteiligt und zweitrangig behandelt. Ich möchte nicht in der Haut unserer Magistraten stecken, es sind letztendlich auch Menschen (JA!), die mit diesem Virus erstmalig konfrontiert worden sind. Sicherlich werden Entscheide getroffen, die nicht immer verständlich sind und Kopfschütteln auslösen. Die Themen Masken, jetzt der Impfstoff, Soforthilfe und vieles mehr, erhitzen die Gemüter und bergen Wut und Enttäuschung in sich. Familien, die in beengten Verhältnissen wohnen, müssen sich irgendwie arrangieren.

Täglich haut man uns teils sehr reisserische Schlagzeilen um die Ohren, die kleine Feuer schüren und noch mehr Ängste und Unmut auslösen. Manche «Blättchen» können sich nicht überwinden oder sind empathisch unfähig, ihre Leserschaft durch fundierte und sachliche Berichterstattung zu informieren. Das finde ich in dieser Zeit unangebracht und schlichtweg «dernäbe». Nicht zu vergessen, die unzähligen Spezialisten, die ihre Meinung zum Thema abgeben. Ich habe den Eindruck, es gibt mehr Spezialisten als ich Haare auf dem Kopf habe.

Der Ton ist rau bis scharf geworden. Nicht nur in der Politik auch unter den Menschen. Die Zündschnur ist bei vielen kurz geworden. Ob im Tram, auf der Strasse, im Grossverteiler beim Einkauf, es kommt öfters zu kleinen Wortgefechten weil zum Beispiel der Abstand zu klein war, die Maske beim Gegenüber nicht richtig auf der Nase sitzt. Das sind Kleinigkeiten aber sie häufen sich. Auch die Zahl häuslicher Gewalt ist erschreckend angestiegen, von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.

Das Durchhalten, die Einschränkungen verbunden mit Ängsten machen mürbe, müde und hässig. Selbst dann, wenn man weiss, dass all das notwendig ist, um wieder in eine «neue Normalität» zu gelangen. Das Licht am Ende des Tunnels? Offenbar hat der Tunnel extrem viele Kurven.

Ich wünsche Ihnen Gesundheit und Kraft!