Wisch und weg!

Bei einem Stadtbummel traf ich auf eine Bekannte. Vergebens suchte ich nach der Möglichkeit, in einer Seitengasse zu verschwinden. Zu spät. So gab ich ihrem Wunsch, einen kurzen Kaffee zu trinken nach und folgte ihr ins nächstgelegene Lokal. Kaum Platz genommen, riss sie ihr Smartphone aus der Tasche und begann, wie meist, quirlig auf mich einzureden. «Diese App ist der Burner», begann sie und hielt mir ein Foto unter die Nase. «Nö, also der kommt nicht infrage», meinte sie sogleich und berührte ein Button, der Typ war weg. Gleich erschien das nächste Bild. Ein recht sympathisch wirkender Mann lächelte mir entgegen. «Sicher nicht, der ist mir zu dick», urteilte mein Gegenüber und weg war auch dieser Mann. Beim nächsten Bild schien sie allerdings sehr angetan und flötete: «Oh ja, den like ich! Gibt der mir auch ein Like, haben wir ein Match», schloss sie begeistert. «Match»? Kenne ich vom Fussball und Sport allgemein, dies hier war mir neu. Auf meine Frage hin, was sie da eigentlich mache, schaute mich Sigrid entgeistert an. «Sag mal, wo lebst du eigentlich? Das ist eine Datingapp, auf der du völlig unverbindlich Typen kennenlernen kannst. Du musst nicht lange Erklärungen abgeben, du wischt diejenigen, die dir nicht passen, einfach weg und gut ist». «Aber Sigrid, da reduzierst du die Menschen nur noch auf ihr Äusseres. Findest du das wirklich gut? Du bist nun keine zwanzig mehr, und solltest doch etwas tiefgründiger agieren. Geh in ein Konzert, übe Hobbys aus, treibe Sport, du wirst Mr. Right begegnen, glaube mir» versuchte ich sie zu überzeugen. Sigrid war frisch getrennt und sollte doch eher vorsichtig sein, dachte ich. «So ein Quatsch! Bei deinem Mann bist du ja sicherlich auch erstmal durch sein Äusseres aufmerksam geworden und nicht gleich auf innere Werte gestossen» erwiderte sie leicht beleidigt. Wir redeten noch eine Weile über diese Wunderapp und verabschiedeten uns dann. Wochen später schrieb sie mir einen «Bericht». Mit einem ihrer Matchs traf sie sich zweimal. Er liess dann trotz Übernachtung usw. nichts mehr von sich hören. Ein weiterer Kandidat kam nicht zum Treffen und faselte etwas von Kopfweh und Fieber. Der dritte im Bunde hing noch derart an seiner Ex-Frau, dass er dauernd nur über seine Vergangenheit sprach. Jetzt aber hätte sie doch einen «erwischt», der gut aussehe, Architekt sei und sehr an ihr interessiert. Ich persönlich bin der Meinung, dass solche Plattformen weitere Mankos darstellen, die den Umgang der Menschen untereinander immer kälter werden lassen. Man hockt in seinem Kämmerlein, das Smartphone in der Hand und wischt Personen achtlos weg, wie Abfall in den Papierkorb. Die Hemmschwelle des Respekts sinkt immer tiefer. Jeder achtet auf sein Wohlergehen, der Rest ist schnuppe. Ist es das, was wir wollen? Wie der Werbetrailer für ein Putzmittel: Mit einem Wisch ist alles weg?

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